Diese Abhandlung ist eine Vertiefung der Seite Außergewöhnliche Wetterereignisse in Mitteleuropa über die letzten 1000 Jahre.

Der Winter 1962/63, oft als „Jahrhundertwinter“ bezeichnet, war einer der kältesten und schneereichsten Winter in Mitteleuropa im 20. Jahrhundert. Er fällt in die Spätphase der Kleinen Eiszeit und ist durch extreme Kälte, langanhaltende Schneedecken und erhebliche gesellschaftliche Auswirkungen gekennzeichnet.


1. Detaillierte Analyse des Winters 1962/63

Klimatologischer Kontext

  • Zeitliche Einordnung: Der Winter 1962/63 fällt in die Spätphase der Kleinen Eiszeit (ca. 1300–1850), die zwar offiziell um 1850 endete, aber bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts vereinzelt Kälteextreme aufwies. Zudem war die Sonnenaktivität in den 1960ern moderat, was keine signifikante Rolle spielte.
  • Wetterlage: Eine stabile Hochdrucklage über Skandinavien und Nordosteuropa (sogenanntes „Skandinavien-Hoch“) blockierte milde atlantische Westwinde und leitete kalte kontinentale Luftmassen aus Sibirien nach Mitteleuropa. Diese meridionale Zirkulation führte zu anhaltendem Frost und Schneefällen.

Meteorologische Details

  • Temperaturen:
    • In Deutschland lag die Mitteltemperatur bei −5,5 °C, etwa 7 °C unter dem langjährigen Mittel (1961–1990). Dies war der kälteste Winter seit 1829/30 (−6,6 °C).
    • Der Januar 1963 war besonders extrem, mit Temperaturen bis −25 °C in Ostdeutschland (z. B. Sachsen). In München wurden −21 °C gemessen, in Berlin −20 °C.
    • In England fielen die Temperaturen in London auf −16 °C, ein Rekordwert für die Stadt.
  • Dauer: Die Kälte begann Ende Dezember 1962 (nach einem Blizzard am 26.–27. Dezember) und hielt bis Anfang März 1963 an, also etwa zwei Monate ununterbrochener Frost.
  • Schneefälle:
    • Deutschland hatte 71 Schneedeckentage, einer der höchsten Werte seit Beginn der Aufzeichnungen. In tieferen Lagen (z. B. Norddeutsches Tiefland) lagen bis zu 50 cm Schnee, in den Mittelgebirgen (z. B. Harz, Schwarzwald) über 1 m, in den Alpen bis zu 3 m.
    • Schneeverwehungen erreichten Höhen von 2–3 m, besonders in Norddeutschland, was Dörfer isolierte.
  • Eisbildung:
    • Die Ostsee fror großflächig zu, ein seltener Eiswinter. Küstennahe Areale waren bis zu 40 cm dick vereist.
    • Der Rhein fror in Abschnitten zu, ebenso die Elbe und die Weser. In den Niederlanden waren Kanäle komplett vereist.
    • Der Bodensee fror vollständig zu, ein Phänomen, das zuletzt 1880 vorkam und seitdem nicht mehr auftrat.

DWD: Vor genau 60 Jahren fror das letzte Mal der Bodensee vollständig zu

Wetterkarte des DWD: Typische Wetterlage 31.Januar 1963 für anhaltend frostiges Winterwetter mit Schnee. Umfangreiche Hochdruckgebiete zwischen Grönland, Island und Skandinavien blockieren die Zufuhr milder Atlantikluft und machen den Weg frei für Kaltluft aus Nord- und Osteuropa. Ähnliche Wetterlagen findet man bei allen strengen Wintern.

Ökologische und landwirtschaftliche Auswirkungen

  • Vegetation:
    • Wintergetreide (z. B. Weizen, Roggen) erfror großflächig, was die Ernte 1963 stark reduzierte.
    • Obstbäume und Weinreben wurden schwer geschädigt, besonders in Süddeutschland und Norditalien. Viele Bäume mussten gefällt werden.
  • Tiere: Viehbestände schrumpften, da Futtermangel und Kälte die Tiere schwächten. Wildtiere, insbesondere Vögel, starben in großer Zahl – Chroniken berichten von „leeren Wäldern“ im Frühjahr 1963.
  • Gewässer: Die langanhaltende Eisbedeckung führte zu Sauerstoffmangel in Seen und Flüssen, was Fischpopulationen dezimierte.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen

  • Todeszahlen: In Europa starben Hunderte an Unterkühlung, vor allem ältere Menschen und Obdachlose. In Großbritannien wurden etwa 500 Todesfälle direkt der Kälte zugeschrieben.
  • Verkehr und Infrastruktur:
    • Straßen und Bahnlinien waren wochenlang blockiert. In Norddeutschland waren Dörfer durch Schneeverwehungen von der Außenwelt abgeschnitten.
    • Der Luftverkehr kam in vielen Regionen (z. B. London, Frankfurt) zum Erliegen.
  • Energieversorgung: Der Heizbedarf war enorm, und in einigen Regionen (z. B. Großbritannien) kam es zu Stromausfällen, da Kohlevorräte knapp wurden.
  • Wirtschaftliche Schäden: Die Kosten für Schneeräumung, Energieversorgung und Ernteausfälle beliefen sich auf mehrere Millionen D-Mark (Deutschland) bzw. Pfund (Großbritannien).
  • Landwirtschaft: Die Ernteausfälle führten zu Preisanstiegen bei Grundnahrungsmitteln, allerdings milderten moderne Logistiksysteme (im Gegensatz zu historischen Wintern) eine Hungersnot ab.

Regionale Unterschiede

  • Norddeutschland: Besonders betroffen durch Schneeverwehungen und Isolation. Die Ostsee war ein „Eisparadies“, und Menschen liefen auf dem Eis zwischen Inseln.
  • Süddeutschland: In Bayern und Baden-Württemberg waren die Schneefälle extrem, und der Bodensee fror zu – ein Ereignis, das als „Seegfrörne“ gefeiert wurde.
  • Großbritannien: Der Winter war der kälteste seit 1740, mit einer Mitteltemperatur von −0,2 °C in England. Die Themse fror teilweise zu, und es gab monatelange Schneedecken.
  • Niederlande: Kanäle froren zu, und eine Elfstedentocht wurde ausgetragen – die letzte bis 1997.

Kulturelle Reaktionen

  • Medien und Chroniken: Der Winter wurde in Zeitungen und Tagebüchern ausführlich dokumentiert. In Großbritannien wurde er als „Big Freeze“ bekannt.
  • Gesellschaftliche Anpassung: In den Alpen und Norddeutschland wurden Skifahren und Schlittschuhlaufen zu beliebten Aktivitäten, da die Schnee- und Eisverhältnisse ideal waren.
Außergewöhnliche Wetterereignisse in Mitteleuropa der letzten 2000 Jahre - Der Jahrhundertwinter 1962/63
Im Monatlichen Witterungsbericht des Deutschen Wetterdienstes (DWD) stand zum Winter 1962/63 unter anderem: „Das Wild hungerte“.

2. Einordnung im Vergleich zu anderen kalten Wintern

Vergleich mit 1708/09 und 1739/40 (Jahrtausendwinter)

  • Temperaturen: 1962/63 (−5,5 °C in Deutschland) war milder als 1708/09 und 1740, die Temperaturmittel von −15 °C bis −20 °C und Tiefstwerte bis −25 °C aufwiesen.
  • Schneefälle: 1962/63 war schneereicher als 1708/09 (der trockener war), aber ähnlich wie 1740, der ebenfalls starke Schneefälle hatte.
  • Auswirkungen: Die Jahrtausendwinter hatten dramatischere Folgen – Hungersnöte, Hunderttausende Tote und massive Ernteausfälle. 1962/63 führte zwar zu Ernteverlusten, aber moderne Infrastruktur (z. B. Lebensmittelimporte, Heizsysteme) verhinderte eine humanitäre Krise.
  • Eisbildung: 1708/09 und 1739/40 sahen großflächigere Vereisungen (z. B. Nordsee, Lagune von Venedig), während 1962/63 „nur“ die Ostsee und kleinere Flüsse betraf.

Vergleich mit 1995/96 (Ostwind-Winter)

  • Temperaturen: 1995/96 war mit −2,6 °C (Warnemünde) deutlich milder als 1962/63 (−5,5 °C). Tiefstwerte lagen 1995/96 bei etwa −15 °C, weit entfernt von den −25 °C 1962/63.
  • Schneefälle: 1995/96 hatte weniger Schnee (max. 15 cm) und weniger Schneedeckentage (ca. 30) im Vergleich zu 1962/63 (71 Schneedeckentage, bis zu 50 cm in tieferen Lagen).
  • Eisbildung: Beide Winter waren Eiswinter an der Ostsee, aber 1962/63 war extremer, da auch größere Flüsse und der Bodensee zufroren.
  • Auswirkungen: 1995/96 hatte keine nennenswerten gesellschaftlichen Folgen, während 1962/63 Verkehr, Energieversorgung und Landwirtschaft stark beeinträchtigte.

Vergleich mit 2008/09–2012/13 (Serie kalter Winter)

  • Temperaturen: Die Serie war deutlich milder, mit Mitteltemperaturen zwischen 0,5 °C und −1,0 °C. Selbst der kälteste Winter der Serie (2009/10, −1,0 °C) war weit entfernt von 1962/63 (−5,5 °C).
  • Schneefälle: Die Serie war schneereich (z. B. 2009/10 und 2010/11 mit bis zu 50 cm in tieferen Lagen), aber 1962/63 hatte eine längere Schneedeckendauer und extremere Verwehungen.
  • Eisbildung: 2008/09–2012/13 sahen vereinzelt Eisbildung (z. B. Ostsee 2011/12), aber nicht im Ausmaß von 1962/63 (z. B. Bodensee).
  • Auswirkungen: Die Serie führte zu Verkehrsproblemen und erhöhtem Energieverbrauch, aber die Auswirkungen waren geringer als 1962/63, da die Kälte weniger extrem war und die Infrastruktur besser vorbereitet war.

Vergleich mit 1978/79 (Katastrophenwinter)

  • Temperaturen: 1978/79 war milder (−2,0 °C in Deutschland) als 1962/63 (−5,5 °C), hatte aber ähnlich extreme Schneefälle.
  • Schneefälle: Beide Winter waren sehr schneereich, aber 1978/79 war in Norddeutschland katastrophaler, mit Schneeverwehungen bis 5 m und wochenlanger Isolation von Dörfern.
  • Eisbildung: 1978/79 hatte ebenfalls Eisbildung an der Ostsee, aber der Bodensee fror nicht zu, im Gegensatz zu 1962/63.
  • Auswirkungen: 1978/79 führte zu schwereren Verkehrs- und Versorgungsproblemen in Norddeutschland, während 1962/63 flächendeckender und länger anhaltend war.

3. Klimatologische Einordnung

  • Wetterdynamik: 1962/63 war durch eine extrem stabile meridionale Zirkulation geprägt, ähnlich wie 1708/09 und 1739/40. Die NAO war stark negativ, was Kaltlufteinbrüche aus dem Osten begünstigte.
  • Klimakontext: Der Winter fiel in eine Phase, in der Kaltwinter noch häufiger waren (Spätphase der Kleinen Eiszeit). Seit den 1980ern wurden solche Extreme seltener, was auf die globale Erwärmung zurückzuführen ist.
  • Vergleich zur Gegenwart: Im Kontext des Klimawandels ist ein Winter wie 1962/63 heute unwahrscheinlicher. Die Serie 2008/09–2012/13 zeigt, dass Kaltwinter möglich bleiben, aber nicht die Intensität von 1962/63 erreichen.

4. Fazit

Der Winter 1962/63 war ein Ausnahmephänomen, das in seiner Kälte (−5,5 °C), Schneedeckendauer (71 Tage) und Eisbildung (z. B. Bodensee, Ostsee) die meisten Winter des 20. und 21. Jahrhunderts übertrifft. Im Vergleich zu den Jahrtausendwintern 1708/09 und 1739/40 war er milder und hatte weniger katastrophale Folgen, dank moderner Infrastruktur. Gegenüber 1995/96 und der Serie 2008/09–2012/13 war 1962/63 deutlich kälter und schneereicher, während 1978/79 in Norddeutschland lokal extremere Schneefälle hatte. 1962/63 bleibt ein Maßstab für extreme Winter in Mitteleuropa und ein wichtiger Bezugspunkt in der Klimaforschung.

Weitere Links:

.

google.com, pub-2556727855943197, DIRECT, f08c47fec0942fa0