Diese Abhandlung ist eine Vertiefung der Seite Außergewöhnliche Wetterereignisse in Mitteleuropa über die letzten 2000 Jahre.
Die „Jahrtausendwinter“ 1708/09 und 1739/40 zählen zu den extremsten Kälteperioden in der Klimageschichte Mitteleuropas. Beide Winter fanden während der Kleinen Eiszeit (ca. 1300–1850) statt, einer Phase mit generell kühleren Temperaturen und häufigeren Kälteextremen. Sie hatten tiefgreifende Auswirkungen auf die Bevölkerung, Landwirtschaft und Wirtschaft. Im Folgenden liefere ich eine detaillierte Analyse dieser beiden Winter, basierend auf historischen Aufzeichnungen, frühen meteorologischen Daten und wissenschaftlichen Rekonstruktionen, mit einem Fokus auf Mitteleuropa (Deutschland, Schweiz, Österreich, Tschechien, Polen, Benelux, Nordfrankreich und angrenzende Regionen).
Der Winter 1607/08 war ähnlich streng, mit Temperaturen in einem vergleichbaren Bereich (−10 bis −15 °C). 1708/09 und 1739/40 hatten jedoch größere gesellschaftliche Auswirkungen (z. B. Hungersnöte mit Hunderttausenden Toten), da sie in dichter dokumentierten Perioden auftraten. 1607/08 war schneereicher als 1708/09, aber ähnlich wie 1740.

1. Jahrtausendwinter 1708/09: Der „Große Frost“
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Zeitliche Einordnung: Der Winter 1708/09 fällt in die Spätphase der Kleinen Eiszeit, die durch starke Temperaturschwankungen und häufige Kälteextreme gekennzeichnet war. Er gilt als einer der kältesten Winter in Europa seit 500 Jahren und wird oft als „Großer Frost“ (Great Frost) bezeichnet.
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Wetterlage: Eine stabile Hochdrucklage über Skandinavien und Russland leitete kontinuierlich kalte kontinentale Luftmassen aus Sibirien nach Mitteleuropa. Gleichzeitig blockierte diese Lage milde atlantische Luftmassen, was zu anhaltendem Frost führte.
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Temperaturen:
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In Mitteleuropa sanken die Temperaturen auf Rekordtiefs. In Paris wurden Temperaturen von −23 °C gemessen, in Berlin schätzt man Werte um −20 °C bis −25 °C.
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In Süddeutschland (z. B. Augsburg, München) lagen die Mittelwerte im Januar 1709 bei etwa −15 °C, was etwa 10–12 °C unter dem langjährigen Mittel des 20. Jahrhunderts ist.
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Die Kälte begann Mitte Dezember 1708 und hielt bis März 1709 an, mit der extremsten Phase im Januar 1709.
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Dauer: Die Kältewelle dauerte etwa drei Monate, mit nur wenigen kurzen Unterbrechungen. Selbst im Frühjahr (April/Mai) blieb es ungewöhnlich kühl.
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Schneefälle: Obwohl die Kälte dominierte, waren Schneefälle in Mitteleuropa weniger ausgeprägt, da die trockene kontinentale Luft wenig Feuchtigkeit mitbrachte. Dennoch führten lokale Schneefälle zu Verwehungen, die den Verkehr behinderten.
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Gefrorene Gewässer:
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Der Rhein fror in weiten Teilen zu, ebenso die Elbe, Donau und viele kleinere Flüsse. In den Niederlanden waren Kanäle und sogar Teile der Nordsee vereist.
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Der Bodensee war komplett zugefroren, ein seltenes Phänomen, das nur in extrem kalten Wintern vorkommt.
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In Venedig fror die Lagune zu, ein Ereignis, das in der Geschichte der Stadt nahezu einzigartig ist.
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Vegetation:
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Obstbäume, insbesondere Apfel- und Kirschbäume, erfroren in großem Stil. Viele Bäume platzten aufgrund des gefrierenden Wassers in ihren Stämmen.
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Weinreben, insbesondere in Süddeutschland und Nordfrankreich (z. B. Bordeaux), wurden schwer geschädigt. In manchen Regionen starben bis zu 90 % der Rebstöcke.
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Wintergetreide (z. B. Weizen, Roggen) erfror auf den Feldern, was die Ernte 1709 drastisch reduzierte.
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Tiere: Vieh starb in Massen, da die Kälte und der Futtermangel die Tiere schwächte. Wildtiere, insbesondere Vögel, wurden ebenfalls stark dezimiert.
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Todeszahlen: Geschätzte 600.000 Tote in Europa, vor allem durch Kälte, Hunger und Krankheiten. In Frankreich starben besonders viele Menschen, da die Kälte mit einer Hungersnot zusammenfiel.
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Hungersnot: Die Ernteausfälle führten zu einer massiven Lebensmittelknappheit. Brotpreise stiegen um das Vierfache, und viele Menschen, besonders in ländlichen Gebieten, hungerten.
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Soziale Unruhen: In Frankreich kam es zu Aufständen, da die Bevölkerung unter der Last der Kälte, der Hungersnot und der hohen Steuern (während des Spanischen Erbfolgekriegs) litt.
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Wirtschaftliche Schäden: Der Handel wurde durch vereiste Flüsse und blockierte Straßen stark beeinträchtigt. In Städten wie Paris und Amsterdam kam der Warenverkehr fast zum Erliegen.
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Frankreich: Besonders schwer betroffen, da die Kälte mit einer ohnehin angespannten wirtschaftlichen Lage zusammenfiel. Chroniken berichten von Menschen, die auf den Straßen erfroren.
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Süddeutschland: In Bayern und Schwaben froren Brunnen und Quellen zu, was die Wasserversorgung einschränkte.
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Niederlande: Die Kälte führte zu „Frostmärkten“ auf den zugefrorenen Kanälen, ein kulturelles Phänomen, das auch in späteren kalten Wintern wiederkehrte.
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England: Der Winter war ebenfalls extrem, mit Temperaturen um −20 °C in London. Die Themse fror zu, und es wurden „Frost Fairs“ abgehalten.
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Chroniken und Kunst: Der Winter 1708/09 wurde in zahlreichen Tagebüchern und Gemälden dokumentiert. In den Niederlanden entstanden viele Winterlandschaften, die die vereisten Kanäle zeigen.
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Religiöse Deutungen: Wie bei anderen Extremereignissen wurde die Kälte oft als göttliche Strafe interpretiert, was zu verstärkten Gebeten und Prozessionen führte.

2. Jahrtausendwinter 1739/40: Der „Kalte Schock“
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Zeitliche Einordnung: Der Winter 1739/40 fällt ebenfalls in die Kleine Eiszeit, genauer in eine Phase, die als „Mitte der Späten Kleinen Eiszeit“ bezeichnet wird. Er war Teil eines Jahrzehnts (1730er–1740er), das durch extreme klimatische Schwankungen geprägt war.
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Wetterlage: Ähnlich wie 1708/09 wurde der Winter durch eine stabile Hochdrucklage über Nordosteuropa bestimmt, die kalte Luftmassen aus Sibirien nach Mitteleuropa brachte. Zudem spielte der Rückgang der Sonnenaktivität (Maunder-Minimum) eine Rolle bei der Abkühlung.
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Temperaturen:
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In Mitteleuropa lagen die Temperaturen im Januar und Februar 1740 bei etwa −15 °C bis −20 °C, mit Spitzenwerten bis −25 °C in Regionen wie Sachsen und Böhmen.
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In Paris wurden Temperaturen von −18 °C gemessen, in London sanken sie auf −20 °C.
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Der Winter war besonders langanhaltend, mit Kälte von Dezember 1739 bis April 1740. Der Februar 1740 gilt als einer der kältesten Monate in der europäischen Klimageschichte.
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Dauer: Die Kältewelle begann im späten Herbst 1739 und hielt bis weit in den Frühling 1740 an, mit einer besonders intensiven Phase im Januar und Februar.
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Schneefälle: Im Gegensatz zu 1708/09 war der Winter 1739/40 von starken Schneefällen begleitet, insbesondere in Süddeutschland, der Schweiz und den Alpen. Schneeverwehungen von mehreren Metern Höhe wurden berichtet.
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Gefrorene Gewässer:
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Der Rhein fror erneut zu, ebenso die Elbe und die Donau. In Prag war die Moldau monatelang mit einer dicken Eisschicht bedeckt.
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In den Niederlanden waren Kanäle und Teile der Zuiderzee (heutiges IJsselmeer) vereist.
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Der Bodensee fror wieder zu, und Chroniken berichten von Menschen, die das Eis nutzten, um zwischen den Ufern zu reisen.
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Vegetation:
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Ähnlich wie 1708/09 erfroren viele Obstbäume und Weinreben. In Süddeutschland und Norditalien wurden Olivenbäume schwer geschädigt, die erst Jahre später wieder produktiv wurden.
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Wintergetreide wurde durch die Kälte und den Schnee zerstört, was die Ernte 1740 stark reduzierte.
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Tiere: Viehbestände schrumpften erheblich, da die Kälte und der Futtermangel viele Tiere töteten. In ländlichen Gebieten wurden Wölfe und andere Raubtiere aggressiver, da sie nach Nahrung suchten.
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Todeszahlen: Die genauen Zahlen sind unklar, aber Schätzungen gehen von hunderttausenden Toten in Europa aus, vor allem durch Kälte, Hunger und Krankheiten. In Irland löste der Winter die „Irische Hungersnot von 1740–41“ aus, bei der etwa 300.000 Menschen starben.
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Hungersnot: Die Ernteausfälle führten zu einer schweren Lebensmittelknappheit. In Irland waren die Auswirkungen besonders dramatisch, da die Bevölkerung stark von Kartoffeln abhängig war, die durch die Kälte verdarben.
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Wirtschaftliche Schäden: Der Handel wurde durch vereiste Flüsse und blockierte Straßen lahmgelegt. In Städten wie Wien und Prag waren Märkte wochenlang geschlossen.
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Soziale Unruhen: In Irland und Teilen Mitteleuropas (z. B. Böhmen) kam es zu Protesten und Plünderungen, da die Bevölkerung unter Hunger und Kälte litt.
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Irland: Der Winter 1740 war hier besonders verheerend und führte zur „Großen Frost-Hungersnot“. Die Kälte zerstörte Kartoffelvorräte, und die anschließende Hungersnot traf die ärmeren Schichten am härtesten.
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Süddeutschland: In Bayern und Schwaben wurden extreme Schneefälle und Kälte dokumentiert. Dörfer waren durch Schneewehen von der Außenwelt abgeschnitten.
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Schweiz: In den Alpenregionen wurden Schneehöhen von mehreren Metern gemessen, was Lawinen und Isolation verursachte.
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England: Die Themse fror erneut zu, und in London wurden Temperaturen von −20 °C gemessen.
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Chroniken: Der Winter wurde in vielen Tagebüchern und kirchlichen Berichten dokumentiert. In Irland wurde er als „An Gorta Fuar“ (der kalte Hunger) bekannt.
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Religiöse Deutungen: Auch hier wurde die Kälte oft als göttliche Strafe gesehen, was zu verstärkten Gebeten und Fasten führte.

3. Vergleich der beiden Winter
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Temperaturen: Beide Winter waren extrem kalt, aber 1708/09 war in vielen Regionen (z. B. Frankreich, England) etwas kälter als 1740, mit tieferen Minimaltemperaturen. 1739/40 war jedoch in Mitteleuropa durch die Kombination aus Kälte und starken Schneefällen besonders schwierig.
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Dauer: 1708/09 hatte eine mehrere Kältephase mit kurzen Unterbrechungen (Dezember–März), während 1739/40 durch anhaltende Phasen von Frost und Schnee geprägt war, zudem früh begonnen hat und erst spät endete (Berichte, dass Obstbäume erst zum Monatswechsel Mai/Juni mit der Blüte begannen)
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Schneefälle: 1740 war schneereicher, insbesondere in Süddeutschland und den Alpen, während 1708/09 trockener, aber kälter war.
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Auswirkungen:
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1708/09: Größere Todeszahlen in Frankreich und schwerere Schäden an Weinreben und Obstbäumen.
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1739/40: Dramatischere Folgen in Irland (Hungersnot) und stärkere Auswirkungen durch Schnee in Mitteleuropa.
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Gesellschaftlicher Kontext: 1708/09 fiel in eine Zeit des Spanischen Erbfolgekriegs, was die Krise in Frankreich verschärfte. 1739/40 war politisch stabiler, aber die Hungersnot in Irland hatte langfristige demografische Folgen.
4. Wissenschaftliche Rekonstruktionen
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Frühe Messungen: Ab 1675 gibt es in Mitteleuropa monatlich aufgelöste Wetterdaten, und ab 1710 wurden in einigen Städten (z. B. Paris, Berlin) systematische Temperaturmessungen durchgeführt. Diese Daten bestätigen die extremen Temperaturen beider Winter.
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Dendrochronologie: Baumringe zeigen für beide Jahre enge Ringe, was auf Wachstumsstress durch Kälte hinweist.
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Klimamodelle: Modelle deuten darauf hin, dass die stabile Hochdrucklage über Nordosteuropa in Kombination mit einer schwachen Sonnenaktivität (Maunder-Minimum) die Kälteextreme begünstigte.
5. Langfristige Folgen
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Landwirtschaftliche Anpassungen: Nach beiden Wintern wurden in einigen Regionen (z. B. Süddeutschland) frostresistenteres Saatgut eingeführt, und Bauern begannen, Vorräte für extreme Winter anzulegen.
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Demografische Krise: Beide Winter führten zu Bevölkerungsrückgängen, insbesondere in Irland (1740) und Frankreich (1708/09).
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Klimageschichtliche Bedeutung: Die Winter 1708/09 und 1739/40 sind wichtige Referenzpunkte für die Erforschung der Kleinen Eiszeit und ihrer Auswirkungen auf vorindustrielle Gesellschaften.
Zusammenfassung
Die Jahrtausendwinter 1708/09 und 1739/40 waren zwei der extremsten Kälteperioden in der Geschichte Mitteleuropas. Der Winter 1708/09, bekannt als „Großer Frost“, zeichnete sich durch rekordtiefe Temperaturen und massive Ernteausfälle aus, mit besonders schweren Folgen in Frankreich. Der Winter 1739/40 war durch eine Kombination aus Kälte und starken Schneefällen geprägt und führte in Irland zur verheerenden Hungersnot von 1739/40. Beide Ereignisse verdeutlichen die Verwundbarkeit vorindustrieller Gesellschaften gegenüber klimatischen Extremen und bieten wichtige Einblicke in die Dynamik der Kleinen Eiszeit.
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